Musik als Schlüssel zu Menschen mit Demenz

Abschlussbericht des demenzsensiblen Modellprojekts „Ein Lied für Dich“

Quelle: Geschäftsstelle, 19.12.2024

Ein Auto fährt auf den Parkplatz der Musikakademie Hammelburg. Ein älterer Herr steigt aus und hilft seiner Frau aus dem Auto. Sie sitzt im Rollstuhl. Der Herr nimmt einen Kamm aus der Tasche und ordnet liebevoll die Haare seiner Frau. Denn es ist kein Tag wie jeder andere. Für heute haben sich die beiden etwas Besonderes vorgenommen: Sie gehen – wie in früheren Zeiten – ins Konzert.

Unter dem Titel „Ein Lied für Dich“ führte der Nordbayerische Musikbund e.V. (NBMB) im Jahr 2024 insgesamt sieben Konzerte für Menschen mit und ohne Demenz sowie ihre Pflegenden und Angehörigen durch. „Ein Lied für Dich“ ist ein Modellprojekt für demenzsensibles Musizieren und wurde im Rahmen des Förderprogramms „Länger fit durch Musik“ des Bundesmusikverband Chor und Orchester ausgewählt und durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Musik gilt als Königsweg für Menschen mit Demenz. Denn durch die Musik können Menschen, die von der Krankheit betroffen sind, noch lange erreicht und individuelle Erinnerungen wachgerufen werden. Menschen, die fast nicht mehr sprechen können, singen die Texte aus Volks- oder Kinderliedern mit, die Stimmung hebt sich nachweislich.

Musikverband engagiert sich für Menschen mit Demenz

Seit 2018 gibt es beim NBMB eine eigene Koordinierungsstelle für Inklusion und Seniorenarbeit, die durch den Bezirk Unterfranken finanziell unterstützt wird. Dem NBMB ist es ein großes Anliegen, kulturelle Teilhabemöglichkeiten auch für Menschen mit Demenz zu schaffen. Deswegen wurde für 2024 das Projekt „Ein Lied für Dich“ initiiert, um konkrete musikalische Angebote für die Zielgruppe zu schaffen und nachhaltige Strukturen aufzubauen. Mit der AWO Unterfranken, der Tagespflege Nolte sowie der Bayerischen Musikakademie Hammelburg wurden für das Projekt Kooperationspartner gefunden, um in Pflegeeinrichtungen wie auch in Konzertsälen die geplanten Konzerte durchzuführen.

Zwei Frauen musizieren gemeinsam vor Publikum. Sie spielen Klavier und Klarinette.

Musikalische Laien schenken Musik

Ein wichtiger Baustein des Projekts war die Beteiligung von ehrenamtlichen Laienmusikerinnen und -musikern. Unter Anleitung der Musiktherapeutin Dr. Laura Blauth (Technische Hochschule Würzburg/Schweinfurt) und der angehenden Musiktherapeutin Isabell Liebler erfuhren die Ehrenamtlichen, worauf es bei der Gestaltung von Konzerten für Menschen mit Demenz ankommt, und konnten sich selbst mit eigenen Ideen und musikalischen Beiträgen einbringen. Die Akteur:innen erstellten gemeinsam Konzertprogramme mit ansprechender Moderation. „Am Anfang war es besonders wichtig, alle dafür zu sensibilisieren, möglichst im Moment zu sein und flexibel auf die Menschen im Zuschauerraum einzugehen. Aber ich habe gemerkt, dass alle Ehrenamtlichen ganz offen dafür waren. Und das hat richtig viel Spaß gemacht“, berichtet Laura Blauth. Die Beteiligten stellten sich dabei ganz neuen Herausforderungen: Manch ein Akteur spielte erstmalig Solostücke mit Klavierbegleitung, andere wiederum genossen das Zusammenspiel und die Gemeinschaft in kleinen Bläserensembles. Ziel war es, den Ehrenamtlichen notwendiges Wissen sowie hilfreiche Materialien und einen Erfahrungsschatz an die Hand zu geben, damit sie zukünftig eigenständig musikalische Angebote für Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit Demenz durchführen können.

Von der Interkation lebt das Konzert

Doch wie kann man sich so ein Konzert für Menschen mit Demenz vorstellen? Mittels Methoden aus der Musiktherapie, der Elementaren Musikpädagogik sowie der Musikgeragogik wurden die Konzerte möglichst interaktiv gestaltet. Das Publikum wurde eingeladen, mitzumachen. Gemeinsam wurden Lieder gesungen, Instrumente verteilt und mitgespielt oder das Publikum wurde zu Bewegungen animiert, z.B. wurden Jongliertücher zum Kreuzberglied geschwungen oder ein Gedicht mit Bewegungen, ansprechenden Bildern oder Materialien unterstrichen. Entspannungsreisen, instrumentale Vorträge und thematisch passende Dekorationen, Gegenstände oder Düfte sorgten dafür, dass möglichst viele Sinne angesprochen wurden. „Alle waren begeistert, mitmachen zu können, ein Teil des Ganzen zu sein. Es wird unglaublich wertgeschätzt und dankbar angenommen. Und die Leute sind froh, dass es solche musikalischen Angebote gibt“, meldet Andrea Dehler vom AWO-Seniorenzentrum in Würzburg zurück.

Live-Streaming zum Welt-Alzheimer-Tag

Damit möglichst viele Menschen von dem Projekt erfuhren und dabei teilhaben konnten, wurde anlässlich des Welt-Alzheimer-Tags am 21. September 2024 ein Streaming-Konzert durchgeführt: Über Youtube konnten Pflegeeinrichtungen wie auch Privatpersonen live eines der Konzerte von zu Hause aus miterleben und selbst mitmachen. Das Liederheft konnte im Vorfeld heruntergeladen werden und die Liedtexte wurden während der Übertragung eingeblendet, sodass auch vor dem Bildschirm mitgesungen und musiziert werden konnte. Zwar gab es während der Übertragung leider kleine technische Probleme, doch die Aufzeichnung des Konzerts wurde im Nachhinein zur Verfügung gestellt, sodass sich Interessierte in den kommenden Monaten das Konzert unter dem Motto „Goldener Herbst“ ansehen und -hören konnten. Dieses Angebot stieß auf große positive Resonanz auf YouTube: „Was für eine schöne und herzerwärmende Idee… Danke!“. Mittlerweile ist die unten verlinkte Video-Dokumentation des Projekts auf YouTube verfügbar. 

Abschlusskonzert im großen Konzertsaal

Den Höhepunkt des Projekts bildete das Abschlusskonzert am 20. Oktober 2024 im Großen Saal der Bayerischen Musikakademie Hammelburg. Menschen mit und ohne Demenz sowie ihre Pflegenden und Angehörigen waren dazu eingeladen, im Konzertsaal einem bunt gemischten Programm zu folgen.  Das Ensemble Saxostrinx hatte gemeinsam mit Isabell Liebler ein wunderbares vielfältiges Programm auf die Beine gestellt. Volks- und Heimatlieder wechselten sich mit Songs von ABBA und weiteren bekannten Stücken. Eine Dame hatte vor Konzertbeginn ihren individuellen Musikwunsch durch Summen der Melodie von Beethovens „Für Elise“ geäußert. Als Überraschung wurde dieses Lied spontan in das Konzertprogramm eingebaut und zauberte der Dame ein Strahlen ins Gesicht. Ein Beispiel dafür, wie die Flexibilität und die offene Wahrnehmung der beteiligten Akteur:innen dazu führen kann, dass das musikalische Angebot als besonders wertvoll erlebt wird.

Der NBMB stellt auf seiner Homepage (www.inklusives-musizieren.de) Materialien zum demenzsensiblen Musizieren. Der Verband wünscht sich, dass sich viele Menschen davon angesprochen fühlen, selbst aktiv werden und musikalische Angebote für Menschen mit Demenz gestalten. Denn alle können dazu beitragen, dass Menschen mit Demenz weiterhin in der Gesellschaft Teilhabe erfahren und ein glückliches, sinnerfülltes Leben führen können.

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