Ein Erfahrungsbericht von Susanne Strohmeier
Wir – das sind meine Zwillingsschwester Michaela und ich (Jahrgang 1971), haben als Kinder die wunderbare Möglichkeit bekommen, ein Instrument lernen zu dürfen. Michaela entschied sich für das Instrument Trompete, ich spiele Klarinette und Saxofon. Durch einen Sauerstoffmangel bei unserer Geburt wurde Michaela mit einer spastischen Behinderung geboren. Michaela wurde Mitglied im Symphonischen Blasorchester Zeegenbachtal und absolvierte dann mit 12 Jahren die D1-Prüfung. Mit Bravour meisterte sie damals schon den praktischen Teil, die Theorieprüfung war für sie nur mit großer Anstrengung und unter Stress zu schaffen.
Im Trompetenregister des Orchesters absolvierten im Laufe der Zeit alle das D2-Abzeichen. Für meine Schwester war das eine unüberwindbare
Hürde, da sie glaubte, die Prüfung niemals bestehen zu können. Seit 40 Jahren war das jedoch ihr größter Wunsch. Obwohl Michaela einen tollen Ton hat und technisch sehr versiert ist, hat sie sich durch das fehlende Abzeichen nie zugetraut, 1. Stimme zu spielen. All die Jahre redete sie davon, wie gerne sie auch die D2-Prüfung ablegen würde.
Nachteilsausgleich ermöglicht allen Menschen die D-Prüfung
Ich habe mir gedacht, im Laufe der Jahre könnte sich im NBMB vielleicht auch die Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs für Menschen mit Handicap aufgetan haben und schrieb eine E-Mail, um nachzufragen. Gerhard Caesar – im Team der NBMB-Geschäftsstelle zuständig für Inklusion und Seniorenarbeit – nahm mein Anliegen sehr ernst und versicherte mir, eine Lösung zu finden. Wir beantragten für Michaela einen Nachteilsausgleich und meldeten sie für die D2-Prüfung an. Nach 40 Jahren! (»Nachteilsausgleich « bedeutet: Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die wegen einer dauerhaften Behinderung die Prüfung nicht unter den regulären Prüfungsbedingungen erbringen können, können einen Ausgleich beantragen).
Michaela war sehr aufgeregt und fieberte dem Termin entgegen, sie übte intensiv die Tonleitern und Stücke. Wir standen die ganze Zeit über in regem Austausch mit Gerhard Caesar, der sich wirklich sehr um eine stressfreie Umsetzung des Nachteilsausgleichs für Michaela bemühte und immer wieder nachfragte. Zudem beriet er sich mit Peter Detsch (stellvertretender Kreisvorsitzender im Landkreis Haßberge), der auch die beiden Fachprüfer mit einbezog, um individuell passende Rahmenbedingungen für Michaelas Prüfung zu schaffen.
Am 20. Oktober 2024 bestand Michaela die D2-Prüfung mit Bravour und der Note ›sehr gut‹. Über das ehrliche Lob der beiden Dozenten, die ihre souveräne Leistung und besonders ihren tollen Ton sowie die Technik lobten, freut sie sich noch heute! Sie erlebte eine großartige Bestätigung, die sich sehr positiv auswirkt. Heute spielt sie 1. Stimme im Orchester, hat insgesamt viel mehr Selbstvertrauen und ›schwelgt‹ noch immer auf einer Wolke des Glücks. Bei der nächsten Musikprobe applaudierten die Dirigentin, die Musikerinnen und Musiker für sie. Michaela bekam viele anerkennende, herzliche Glückwünsche für ihren tollen Erfolg.
Es kostete meine Schwester sehr große Überwindung, diesen Schritt nach so vielen Jahren zu wagen, und ich habe sie noch bis unmittelbar vor der Prüfung bestärkt, aber sie hat es – dank der tollen Unterstützung im NBMB – geschafft! Ich bin unglaublich stolz auf meine liebe Zwillingsschwester und hoffe, dieses Beispiel macht allen Mut, die irgendeine Beeinträchtigung haben. Es gibt immer einen Weg – man muss ihn nur suchen. Michaela und ich können uns nur bedanken für diese wunderbaren Erfahrungen. Das ist gelebte Inklusion, wie sie positiver nicht sein kann!
Weitere Informationen zum Nachteilsausgleich bei Leistungsabzeichen gibt es hier.
Die NBMB-Koordinierungsstelle für Inklusion und Seniorenarbeit erreichen sie wie folgt:
Gerhard Cäsar und Monika Feldmeier, Telefon: 0 93 67 / 988 689 – 3, E-Mail: inklusion@nbmb-online.de